Ein Blick in die Altorientalistische Lehrsammlung

von Marcel E. Juhas

Diese digitale Ausstellung wurde im Zuge eines vierwöchigen Praktikums am Institut für Altertumswissenschaften, Arbeitsbereich Altorientalische Philologie, von Marcel E. Juhas erstellt. Gegenstand der Ausstellung sind Repliken aus der Altorientalistischen Lehrsammlung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, die Gipsabgüsse von Exponaten des Vorderasiatischen Museums in Berlin und dem British Museum in London umfasst. Die ausgewählten Objekte sind alle mit Keilschrift beschriftet. Die Keilschrift ist gegen Ende des 4. Jt. v. Chr. entstanden und stellt eine der revolutionärsten Errungenschaften der Menschheit dar, die sich die Bewohner Mesopotamiens jahrtausendelang zu Nutze machten.

In dieser Ausstellung werden Schriftstücke aus verschiedenen Materialien im Kontext von Architektur, Administration und Literatur thematisiert, die den Zeitraum vom 3. bis 1. Jahrtausend v. Chr. abdecken. Zusammengestellt wurden Keilschrifttafeln aus Ton, ein Grenzstein (Kudurru), eine Bauurkunde aus Alabaster sowie ein großformatiges Palastrelief.

Die Präsentation der Objekte hat zum Ziel, der Öffentlichkeit einen Einblick in die Altorientalistische Lehrsammlung der JGU Mainz zu gewähren und die Funktion und Vielfältigkeit der Keilschrift im Alten Orient zu verdeutlichen.

Vier Objekte der Altorientalistischen Lehrsammlung (Foto: M. Juhas)

 

Nr. 1: Gipsabguss einer Keilschrifttafel mit Gilgamesch-Erzählung (AO/MZ 02)

  • Inv.-Nr. Berlin: VAT 4105
  • Datierung: altbabylonisch, ca. 17. Jh. v. Chr.
  • Fundort: verm. Sippar
  • Maße: 15 x 7,9 x 3,8 cm
Foto: M. Juhas

Der Gipsabguss eines Tontafelfragments enthält eine Episode des Gilgamesch-Epos, eines der frühesten Werke der Weltliteratur. Das Gilgamesch-Epos erzählt von den Erlebnissen und Abenteuern von Gilgamesch, dem König von Uruk, die er auf seiner Suche nach Unsterblichkeit erlebte. In dieser Episode trifft Gilgamesch vor seiner Fahrt über die Wasser des Todes auf die Schenkin.

Die Schenkin spricht zu Gilgamesch: dGIŠ e-eš ta-da-a-al „Gilgamesch, wohin läufst du?“ (VAT 4105 III 1) – und vermittelt ihm, dass er das Leben, nach dem er sucht, nicht finden wird. Denn jenseits der Wasser des Todes sucht Gilgamesch nach dem Überlebenden der Sintflut Utnapischtim, dem ,,babylonischen Noah“, um von ihm das Geheimnis der Unsterblichkeit zu erfahren.

Das Fragment wurde 1902 aus Privatbesitz in Bagdad erworben und befindet sich aktuell im Vorderasiatischen Museum der Staatlichen Museen zu Berlin. Als Herkunftsort wird Sippar (Abu Habba) vermutet, das 16 km südwestlich der irakischen Hauptstadt Bagdad gelegen ist. Ein weiteres Fragment aus dem British Museum kann an das vorliegende Bruchstück ergänzt werden.

Die Keilschrifttafel umfasst jeweils zwei Kolumnen auf der Vorder- und Rückseite. Berechnungen und Schätzungen zufolge umfasste die gesamte Tontafel ursprünglich ca. 180 Zeilen. Erhalten geblieben ist etwas weniger als die Hälfte. Das Objekt wird in die altbabylonische Zeit (17. Jh. v. Chr.) datiert und ist in akkadischer Sprache verfasst.

Literatur:

  • George, Andrew R., The Babylonian Gilgamesh Epic Vol. 1+2, New York (2003), Vol I: 272–286. Vol II: pl. 17–19.
  • Hecker, Karl, Das akkadische Gilgamesch-Epos. In: K. Hecker/W.G. Lambert u.a. (Hrsg.), Mythen und Epen II. Texte aus der Umwelt des Alten Testaments III/4 (1994) 664–667.
  • Millard, Alan R., Gilgamesh X: A new fragment. In: Iraq 26 (1964) 99–105.

Nr. 2: Gipsabguss einer Verwaltungsurkunde (AO/MZ 16)

  • Inv.-Nr. Berlin: VAT 4404
  • Datierung: altsumerisch, 24. Jh. v. Chr.
  • Fundort: Lagasch
  • Maße: 8,3 x 8,3 x 2,4 cm
Foto: M. Juhas

Bei diesem Gipsabguss handelt es sich um eine vollständig erhaltene Verwaltungsurkunde über die Musterung von Eseln. Insgesamt wurden auf dieser Tafel 113 Arbeitstiere hinsichtlich ihres Alters und Geschlechts dokumentiert und jeweils verschiedenen Personen zugeteilt. Die Zählung der Tiere wurde von Lugalanda, dem Stadtfürsten von Lagasch, durchgeführt, wie der Kolophon verrät. Die Vorderseite ist flach und in vier dicht beschriftete Kolumnen unterteilt. Die Rückseite weist eine für Keilschrifttafeln typische Wölbung auf und enthält ebenfalls vier Kolumnen. Datiert wird diese Tontafel in das fünfte Regierungsjahr des Lugalanda, ca. 24. Jh. v. Chr. (Frühdynastisch III b), und ist in sumerischer Sprache verfasst.

Literatur:

  • Bauer, Josef, Altsumerische Wirtschaftsurkunden aus Lagasch (1972), 301–305, Nr. 100.

Nr. 3:  Gipsabguss eines Kudurru (Landschenkungsurkunde) (AO/MZ 22)

  • Inv.-Nr. Berlin: VA 209
  • Datierung: neuassyrisch, ca. 710 v. Chr., Sargon II.
  • Fundort: unbekannt
  • Maße: 33 x 18 cm
Foto: M. Juhas

Bei diesem Objekt handelt es sich um eine aus schwarzem Stein angefertigte Landschenkungsurkunde, einen sogenannten ,,Kudurru“. Das Original befindet sich im Vorderasiatischen Museum in Berlin. Die Urkunde ist auf der Vorder- und Rückseite in zwei Register unterteilt: Im oberen Register sind Göttersymbole dargestellt, das untere Register ist mit Keilschrift beschriftet und dokumentiert getätigte Transaktionen. In dem fünfkolumnigen Keilschrifttext werden diverse Grundstücke, Bezirke und Gebäudekomplexe wie z. B. ,,Bergdattelpalme(n)‘‘ und ,,Schmale Straße(n)‘‘ zum konkreten Gegenstand. Sie werden gegen eine festgelegte Silbermenge, einen Schuldenerlass oder Tauschgeschäfte dem künftigen Besitzer Namens Nabû-lē‘i unter Berufung von Zeugen, Androhungen von Strafklauseln und Flüchen übergeben.

(…) qaq-qa-ru šu-ú / ˹i-na ŠUII˺ mŠÚMna-dAG ki-i 55 GÍN KÙ.BABBAR / [an]-da-ḫar (…) ,,Dieses Grundstück habe ich von Iddina-Nabû für 55 Schekel Silber empfangen (…)“ (VA 209 I 5-7).

Im oberen Register ist eine Bildszene mit verschiedenen Göttersymbolen dargestellt. Die astralen Symbole verweisen auf den Sonnengott Schamasch, den Mondgott Sîn sowie auf die Göttin Ischtar. Zudem sind noch die Götter Marduk, der höchste Gott des babylonischen Pantheons, und sein Sohn Nabû abgebildet, die dem Vertragsabschluss als Zeugen beiwohnen.

Eine kleine Besonderheit: Dem Schreiber (Steinmetz) sind zahlreiche Schreibfehler beim Übertragen der Urkunde von Tontafeln auf Stein unterlaufen, wie z.B. das Verrutschen des Texts in manchen Zeilen und das Vornehmen nachträglicher Korrekturen. Die Urkunde entstammt der Regierungszeit des neuassyrischen Königs Sargon II. (722-705 v. Chr.) und wird auf ca. 710 v. Chr. datiert. Der genaue Fundort des Kudurrus ist unbekannt.

Literatur:

  • Paulus, Susanne, Die babylonischen Kudurru-Inschriften von der kassitischen bis zur frühneubabylonischen Zeit, AOAT 51 (2014) 715–723.
  • Seidl, Ursula, Die babylonischen Kudurru-Reliefs. Symbole mesopotamischer Gottheiten. OBO 87 (1989) 61–62, Nr. 108, Abb. 23.
  • Slanski, Kathryn E., The Babylonian entitlement narûs (kudurrus). A study in their form and function (2003) 96–97.

Nr. 4: Palastrelief: König auf Löwenjagd (AO/MZ 39)

  • Inv.-Nr. Berlin: VA 00959
  • Datierung: 883 v. Chr., Assurnasirpal II.
  • Fundort: Nimrud
  • Maße: 100 x 184 cm
Foto: M. Juhas

Dieser Abguss eines Reliefs zeigt eine dynamische Jagdszene des assyrischen Königs Assurnasirpal II. (883-859 v. Chr.). Der König fährt mit Streitwagen und gespanntem Bogen einer Löwin hinterher, die bereits durch zwei Pfeile verwundet wurde. Er befindet sich in Begleitung eines Wagenlenkers. Der Wagen wird von drei Pferden gezogen. Das originale Relief ist aus Alabaster gefertigt und wurde im Nordwestpalast in Nimrud gefunden. Es wird ins Jahr 883 v. Chr. datiert. Möglicherweise war das Relief Bestandteil einer dreiteiligen Relief-Reihe mit Jagdszenen aus dem Nordwestpalast in Nimrud. Am oberen Rand des Reliefs sind Reste eines Keilschrifttextes eingraviert, in der sich der König Assurnasirpal II. hinsichtlich seiner Errungenschaften glorifizieren lässt. Löwenjagdszenen bringen die physische Stärke und den Heldenmut der Herrscher zum Ausdruck und waren der königlichen Elite vorbehalten.

Literatur:

  • Englund, Klaudia, Nimrud und seine Funde: Der Weg der Reliefs in die Museen und Sammlungen. Orient Archäologie 12 (2003) 165–166.
  • Paley, Samuel M. / Sobolewski, Richard P., The Reconstruction of the Relief Representations and Their Positions in the Northwest-Palace at Kalḫu (Nimrūd) II. BaF 10 (1987) 76.
  • Reade, Julian E., Texts and Sculptures from the North-West Palace, Nimrud. In: Iraq 47 (1985) 210.

Nr. 5: Bauurkunde des Adad-nirari I. (AO/MZ 24)

  • Inv.-Nr. Berlin: VA 8252
  • Datierung: mittelassyrisch, ca. 1305-1274 v. Chr.
  • Fundort: Assur
  • Maße: 38 x 28 cm
Foto: M. Juhas

Diese Gipskopie einer beidseitig beschrifteten Bauurkunde aus Alabaster illustriert die Renovierung des Ischtar-Tempels durch Adad-nirari I. (mittelassyrische Zeit, ca. 1305-1274). Die Gründungsinschrift war in das Fundament des Hauptraums der Kultstätte eingelassen. Im Text schildert Adad-nirari den Wiederaufbau des Ischtar-Tempels nach mehrmaligem Verfall des Bauwerks. So ließ er beispielsweise die schwachen Stellen der Tempelmauer reparieren und setzte die beschädigten Balken wieder instand. Adad-nirari I. forderte darin zudem nachfolgende Könige testamentarisch dazu auf, beim erneuten Verfall des Tempels Reparaturarbeiten vorzunehmen und seine eigene Gründungsurkunde wieder an ihrem ursprünglichen Ort zu platzieren.

Tukulti-Ninurta I. (1233-1197 v. Chr.), ein Enkel Adad-niraris, fand diese Urkunde während eines Tempelneubaus und ließ sie nach Beendigung wieder akribisch in das Fundament zurücksetzen. Die Inschrift wurde gemeinsam mit vier weiteren Bauurkunden bei Ausgrabungen in Assur freigelegt und stammt aus der Zeit um 1305-1274 v. Chr.

Literatur:

  • Grayson, A. Kirk, Assyrian Rulers of the Third and Second Millennia BC (to 1115 BC). The Royal Inscriptions of Mesopotamia. Assyrian Periods. Volume 1 (1987) 149–151 (A.0.76.15).
  • Marzahn, Joachim (Hrsg.), Könige am Tigris. Assyrische Palastreliefs in Dresden. Katalogbuch zur Ausstellung der Skulpturensammlung im Albertinum, Dresden. 20. März – 29. September 2004 (2004), 97–­98.